Ehrengast Klaus Eder

Klaus Eder hat eine lebenslange Leidenschaft: Die Liebe zum Film, zum intelligenten, herausfordernden Kino. Mit diesem Medium hat er sich die Welt angeeignet, und er wurde selber zum Vermittler zwischen einander fremden Kulturen und Menschen – per Film.

Klaus Eder, der einst zusammen mit Sergio Leone in der Jury von Cannes saß, der weltweit in Sachen Film unterwegs war, entwickelte eine besondere Vorliebe für ein spezielles Filmland: die Türkei.

Über den Regisseur, Fotograf und Schauspieler Nuri Bilge Ceylan beispielsweise schrieb er einen umfassenden, äußerst kenntnisreichen Artikel in der Filmzeitschrift »Filmdienst«. Aber bereits in den 60er-Jahren war er als Vermittler für türkische Filme aktiv, etwa für Metin Erksan.

Klaus Eder im Gespräch mit Jochen Schmoldt:

Schmoldt: Klaus Eder, Sie sind ein Kosmonaut des Kinos, immer unterwegs nach neuen, unerforschten Film-Planeten?

Eder: Ich habe in den 60er-Jahren angefangen, mich mit Filmen zu beschäftigen, die etwas mit mir als Person zu tun hatten. Das waren die sogenannten »Autorenfilme«. Ursprünglich plante ich ja eine Karriere als Theaterkritiker. Aber das Theater in jener Zeit erschien mir leblos und tot, es hat mich einfach  nicht berührt.
Dann kamen die Filme der Nouvelle Vague aus Frankreich bei uns ins Kino, und ein paar Jahre später kam der »junge deutsche Film«. Das war etwas, womit ich etwas anfangen konnte, was mich berührte, was mich direkt betraf. Deswegen hat mich der Hollywoodfilm damals auch nicht sonderlich interessiert. Erst sehr viel später fand ich überhaupt Zugang zu bestimmten Hollywoodfilmen. Die Fabrik von Bestsellern, die Hollywood immer war, war für mich bedeutungslos. Und da kamen aufregende Filme etwa aus England und der Tschechoslowakei zu uns, das waren ganz andere Sichtweisen auf die Welt, so etwas kannte ich bis dahin nicht.

Schmoldt: Wo wurden denn solche Filme überhaupt gezeigt, wer hat sie in die Kinos gebracht? Denn wie heute war Film ja auch damals in erster Linie eine Ware, mit der man Geld verdient ...

Eder: In jener Zeit gab es etwas, das ich heute schmerzlich vermisse: Es gab den »Verleih Neue Filmkunst Walter Kirchner« in Göttingen mit eine Reihe von Kinos in verschiedenen Städten, und da wurden diese »anderen« Filme gezeigt, etwa die Meisterwerke von Andrzej Wajda aus Polen. Das war Kino als Kunst, und damit bin ich aufgewachsen. Dann kamen die Filme aus der Sowjetunion – unter ihnen gab es wahre Schätze zu entdecken! Und schließlich war da ein ganzer Kontinent, über den ich verdammt wenig wusste: Lateinamerika. Die ersten Filme, die ich sah, machten mich neugierig, mehr über Land und Leute zu erfahren.

Schmoldt:
Das war fast eine Blütezeit des Kinos: unbekannte Kontinente, unerforschte Landstriche, Menschenlandschaften ...

Eder: Wenn ich jetzt einen leicht resignativen Unterton habe, dann liegt das daran, dass es heute kaum noch Abspielstätten für diese Art Film gibt. Ein Grund mit, warum ich oft zu Hause in meinem »Heimkino« sitze und mir Filme auf DVD per Beamer anschaue. Darunter sind ganz gewiss keine Bestseller, sondern wirkliche Fundstücke.

Schmoldt: Zumindest gab es in den Großstädten ein aufgeschlossenes Publikum für Kunst-Kino. Und vor allem: Es wurde über die Filme intensiv diskutiert ...

Eder: Klar: Godard. Der frühe Godard! Was der diskutiert wurde!

Schmoldt: Und es gab eine ernsthafte, ja leidenschaftliche Filmkritik in den überregionalen Zeitungen, die viel Aufmerksamkeit für »schwierige« Filme erzeugte. Auch das ist Vergangenheit?

Eder: Blumenberg etwa, und Wolfram Schütte waren einst solche Kritiker. Die haben sich regelrecht bekriegt, so stark war ihre Begeisterung für richtiges Kino! Dennoch: Es gibt auch heute ein junges, waches und interessiertes Publikum jenseits des Unterhaltungskinos. Zumindest deutet der wachsende Erfolg von Filmfestivals darauf hin: Denn da kommen vor allem junge Leute und lassen sich auf filmische Abenteuer ein. Sie schauen sich Filme an, von denen sie praktisch vorher nichts wussten. Ich schreibe seit Jahren Filmtipps – also für Filme, die im Fernsehen laufen – für den bayerischen Rundfunk, die laufen in einem sehr populären Programm und werden mehrfach wiederholt. Aus Reaktionen von Hörern erfahre ich, dass es junge Leute gibt,  die sich dann ganz gezielt einen solchen Film anschauen, obwohl er um Mitternacht  – also die leider sehr typischen Sendezeiten für anspruchsvolle Filme – läuft.

Schmoldt: Was fehlt dennoch in Sachen »Filmkultur«?

Eder: Ich leide unter der Fantasielosigkeit der Verleiher, ich leide unter ihrer Ängstlichkeit und ihrer Scheu, ein Risiko einzugehen. Natürlich hat sich heute die »Funktion« des Films mit der Globalisierung verändert. Gewiss gibt es über das Internet die Möglichkeit, Raritäten aufzustöbern und anzuschauen – aber unter welchen Bedingungen, und in welcher Qualität! Es existieren nur noch kleine Räume für ambitioniertes Kino. Gäbe es die nicht, könnte ich meinen Beruf an den Nagel hängen!

Schmoldt: Nun, Sie haben ja rund 20 Jahre lang internationale Filmreihen für das FilmFest München konzipiert, ohne Erfolgsdruck oder Popularitätsschraube. Trotz Globalisierung sind Filme etwa aus Lateinamerika bei uns nach wie vor Mangelware, ähnliches gilt ja auch für das Filmland Japan. Was ist denn Ihr Dauermotor, was motiviert Sie immer noch?

Eder: Etwa die Türkei! Unglaublich, was für eine komplexe, spannende und lebendige Filmlandschaft dort existiert! Das betrifft Filmemacher genauso wie Kritiker und auch Zuschauer. Mit dem türkischen Film beschäftige ich mich ja schon sehr lange Zeit. Ich hatte das Vergnügen, ein paar türkische Regisseure in ihren Anfängen zu erleben. Yilmaz Güney zum Beispiel.  Er wechselte vom Schauspielerberuf hinter die Kamera. Oder Metin Erksans Film »Der trockene Sommer«, der 1964 in Berlin den »Goldenen Bären« gewann. Von Erksan zum Beispiel hatte ich damals Filmkopien aus der Türkei nach Deutschland gebracht und sie einem Kollegen der TV-Anstalt ARD gezeigt, der für die Filmeinkäufe zuständig war. Der sagte mir nach Sichtung: »Das geht bei uns nicht! Was hast du denn da für merkwürdige Sachen angebracht?«

Schmoldt: Inzwischen hat sich das ja etwas geändert?

Eder: Das ist bedingt richtig. Man muss wissen, dass es ja auch in der türkischen Filmszene Umbrüche gegeben hat. Lange Zeit war dort wenig los. Erst in den 80er-Jahren, als etwa Nuri Bilge Ceylan auftrat, hat sich langsam im türkischen Kino mit Anspruch etwas entwickelt, das sich heute in einer beachtlichen, äußerst spannenden Vielfalt ausdrückt. Es gibt sehr viele junge Filmemacher mit großem Talent. Und daher sage ich, dass die Türkei heute eines der interessantesten Filmländer weltweit ist!
Schmoldt: Was ist anders bei diesen jungen türkischen Filmemachern?

Eder: Im Prinzip sind es Autorenfilmer. Wenn ich mir zum Beispiel anschaue, welche Stoffe sie behandeln im Vergleich mit jungen deutschen Filmemachern – was ist da für ein Unterschied!  Die türkischen Regisseure, an die ich jetzt denke, arbeiten mit offenen Augen und offenem Herzen für ihre Umwelt, die Menschen, die Probleme. Es ist tendenziell »realistisches« Kino. Und bei uns? Zu oft uninteressante private Geschichten, die mich kaum berühren oder sogar kalt lassen. Dabei ist Film doch so ein wunderbares Mittel, um über Menschen zu erzählen! Die Türkei ist ja politisch für uns Deutsche von einigem Interesse. Und da vermitteln solche Filme die beste Möglichkeit, Land und Leute viel besser kennenzulernen. Schlimm finde ich nach wie vor das erhebliche Desinteresse unserer Medien, sich mit solchen Filmemachern und vor allem ihren Filme zu beschäftigen. Da müssten die Filmkritiker und auch die öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten in die Pflicht genommen werden.

Schmoldt: Sie sprechen übrigens fließend Türkisch, habe ich gehört. Wie das?

Eder: Cherchez la femme! Da ist eine Frau dran schuld! Und das ist wohl ein legitimer Anlass, sich für ein Land und seine Sprache zu interessieren. Die Türkei steckt voller vitaler Kontraste, voller Widersprüche, Reibungen und hat für mich bislang nichts von ihrer Faszination verloren.  

Schmoldt: Was ist die Ihrer Ansicht nach die beste Voraussetzung, sich für intelligentes, berührendes Kino zu interessieren?

Eder: Neugierde!